Das Ziel
Das Überleben von drei Wochen mit einer deutsch-schweizerischen Reisegruppe im Busch Afrikas. Soviel vorab – die Tiere waren nicht das Problem …
Der Weg
Ich mache Urlaub in Afrika. Zum ersten Mal in meinem Leben. Ich will Abenteuer, wilde Tiere sehen und weite Landschaften und bunte Blumen und fremde Menschen. Im Gegensatz zu meinen Mitreisenden, die mit allerlei exotischen Fototrophäen aufwarten, kann ich bisher nur von bayerischen Hauskatzen und gemeinen Stechmücken berichten. Das Kreuz des Südens hielt ich bislang für einen Teil des verschollenen Bernsteinzimmers, Malawi für Madonnas Kinderhort, und hätte mir jemand gesagt, Sambia wäre der neue Family Van von Opel – ich hätte es geglaubt.
Das Prinzip Expedition
Es handelt sich bei dieser Reise um eine Expedition. Heißt, mit dem Jeep durch die Wildnis fahren, auf einer Art Steinzeitcampingplatz im Zelt schlafen, und das alles mitten im afrikanischen Busch. Karg, einfach und entbehrungsreich. Oma würde sagen, wie früher. Ich stelle mich ein auf Beeren sammeln und Würmer essen. Auf die Frage nach Sicherheitsvorkehrungen – wie Bewachung oder Zäune rund um die Camps – erhalte ich vom Reiseveranstalter die unbefriedigende Antwort, ich würde sicher eine spannende Zeit haben und solle mich überraschen lassen. Was soll das denn heißen?! Überraschen wovon? Von einem Löwen, der meinen Hintern beim nächtlichen Klogang für einen Snack hält? Von der Tatsache, dass ich das so genannte „Zelt” selbst flechten muss, aus im undurchsichtigen Busch gesammelten Bananenblättern? Einer wild gewordenen Affenhorde, der man die Beeren vor der Nase weggefressen hat? Kurzfristig bekomme ich Sehnsucht nach zwei Wochen Rimini all inclusive.
Die Vorbereitungen
Wie jeder pflichtbewusste Tourist informiere auch ich mich vor meiner Reise ausführlich über Krankheiten und andere drohende Gefahren im Urlaubsland. Dazu besuche ich das Tropeninstitut. Klingt irgendwie nett, nach Malaria Tropica-Happy Hour und lecker Drinks mit Cocktailkirsche. Doch das Einzige, was einem dort gereicht wird, ist die schlaffe Hand eines blutleeren Medizinstudenten im 20.ten Semester. Dieser referiert zunächst über die Gefahren der Sonne, was mich einigermaßen irritiert, stützstrumpffarben wie er ist sieht er nicht wirklich so aus, als kenne er diesen Stern aus eigener Erfahrung. Der beige Medizinmann spricht von Typhus, Gelbfieber und Cholera, erzählt vom Angriff der Malaria-Mücken und Tollwutgefahr. Ich bin plötzlich nicht mehr sicher, ob ich in den Urlaub fahre oder in den Krieg ziehe. Das vorgeschlagene Sorglos-im-Krisenherd-Paket übersteigt meine Urlaubskasse bei Weitem, ich beweise Mut zur Versorgungslücke und entscheide mich für die preisgünstige Gelbfieberimpfung – halb so teuer wie die gegen Tollwut. Lieber irre sterben als innerlich verdörren. Gerade als er mir die Nadel in den Arm rammt, weist er mich noch darauf hin, dass in den Tagen nach der Impfung auftretende Erkältungssymptome sowie Fieber bis 40 Grad völlig normal seien, da es sich um einen Lebendimpfstoff handele. Spinnt der? Der soll mich GEGEN, nicht MIT Grippe impfen, noch dazu lebendiger! Ich spüre förmlich, wie Tausende kleiner Viren fröhlich aus der Kanüle in meine Blutbahn hechten und dort kleine Brandherde legen. Als er dann noch erwähnt, dass die Malaria-Prophylaxe bei vielen zu Depression, Alpträumen und Aggression führt, beginnt letztere schon aufzukeimen, bevor ich je eine Tablette genommen habe. Aggressiv, überhitzt UND irre, dazu brauche ich keinen Urlaub … da reicht einmal im Hochsommer mit dem Radl auf den Mittleren Ring, linke Spur. Zu guter Letzt fragt mich der Aushilfs-Scharlatan noch nach der Art der Reise. Meine Antwort, Expedition ins afrikanische Nirgendwo, treibt ihm Sorgenfalten ins Gesicht. Ob ich da freiwillig hinfahre, will er wissen. Nein! Ich muss aus Bayern fliehen, weil meine Nachbarn Wind davon bekamen, dass ich in meiner Wohnung illegal eingewanderte Wollmäuse beherberge. Was glaubt der denn, natürlich fahre ich da freiwillig hin! Er legt mir noch eine Liste mit Medikamenten für die Reiseapotheke ans Herz, unter anderem Sportsalbe. Wozu das? Durch den afrikanischen Busch zu joggen hat ungefähr genau den gleichen Effekt wie mit rohen Fleischlappen behängt durch ein Löwenrudel zu tanzen. Einen sehr unschönen nämlich.
1 Nachts sind alle Elefanten groß
Beim Aufbau des Zelts – zu meiner Erleichterung handelsübliche, leicht verständliche Campingware – hilft mir die Tatsache, weiblich, einigermaßen jung und aus der Großstadt zu sein – und ein verzweifelter Augenaufschlag. Ich verzichte aufgrund meines Überlebenswillens auf den unverstellten Blick auf Wasser und darin enthaltene Hippos und parke in zweiter Reihe. Denn: Never get between the hippo and the water. Ich diskutiere mit den Nachbarn noch die Möglichkeit einer Zeltwagenburg mit Handtuch-Ohren zur optischen Täuschung von Elefanten, hänge das mitgebrachte Hirschgeweih auf (soviel Heimat muss sein) und bastele eine Steinschleuder, um damit angreifende Löwen in die Flucht schleudern zu können. Immer zwischen die Augen zielen. Jeder, der schon einmal in Afrika war, schwärmt von den Geräuschen der Nacht. Von Leopardengebrüll, kreischenden Affen, Elefantentröten und nahem Hyänenlachen. Auf Cassette sicherlich entzückend. In real wildlife möchte ich allerdings nur ungern den Atem eines Hippos in meinem Nacken spüren, das neben meinem Zelt vor ich hinschmatzt. Ich möchte nachts auch auf keinen Fall irgendeine Form von Aussicht, der Sternenhimmel ist mir schnuppe, so großartig er auch sein mag. Man kann alles übertreiben. Mit Ohrenstöpseln, Schlafbrille und über dem Kopf verknoteten Schlafsack falle ich hermetisch abgeriegelt in einen erholsamen Schlaf. Um drei Uhr morgens jedoch weckt mich meine volle Blase. Mir fällt ein, dass ich meinen mobilen Nachttopf, aus einem Kanister gebasteltet, vor dem Zelt vergessen habe. Ich konzentriere mich eine halbe Stunde lang auf Wüste, Wüste, Wüste. Dürre. Es hilft alles nichts, ich muss mein sicheres Versteck verlassen. Umständlich pople ich die Stöpsel aus den Ohren – und erstarre prompt: hinter der Zeltwand – unmittelbar neben meinem Kopf – höre ich ein seltsames Geräusch, ein gleichmäßiges zzzzzzzzz, zzzzzzz, zzzzzzzzzz. An Schlaf ist nun eh nicht mehr zu denken. Panik ergreift mich, ich tappe im Dunkeln nach der Steinschleuder, vergebens, entscheide mich schließlich für Nagelfeile und Deospray zur Abwehr eines eventuellen Hippo-Angriffs, Mädchen sein zahlt sich im Busch eben doch aus. Mit zitternden Fingern öffne ich in Zeitlupe den Reißverschluss, Millimeter für Millimeter, linse durch ein kleines Loch vorsichtig nach draußen und entdecke – nichts. Garnichts. Niente. Nur Sternenhimmel, großartig und klar. Ich linse nach links, linse nach rechts, nicht die Spur einer Gefahr! Auch das Geräusch ist verstummt … Ich atme erleichtert auf. Ich Anfänger! Pah! Übermütig reiße ich den Reißverschluss auf, springe beschwingt nach draußen, tanze singend an der Zeltstange, pfeife ein Liedchen, schlage ein Rad – als sich plötzlich ein großer Schatten zwischen mich und den Sternenhimmel schiebt. Ein afrikanischer Flugsaurier? Hyäne auf der Suche nach einer neuen Geschmacksrichtung? Ich hoffe naiv auf eine Wolke. Ich turne nun nicht mehr. Pfeife auch nicht. Vor meinem geistigen Auge zieht mein Leben vorbei, ich danke leise murmelnd Eltern, Nachbarn und Freunden, bedauere, dass nichts von mir zum Begraben übrig bleibt. Wie gerne wäre ich als Asche über den Alpen verstreut worden. Es bleibt nur die Flucht nach vorn! Als ich nach dem Deospray greife und zum Angriff übergehen möchte, gibt der Schatten plötzlich kratzige Laute von sich, zunächst unverständliche, seltsame, dann sprachähnliche, die sich nach und nach als astreines Schwytzerdeutsch entpuppen: „Ja, gruezi, die Luft ist rein, kannst rauskommen, hier hat’s gar keine Hippos nicht …” … Ich kauere am Boden und blinzele verstört. Meine Schweizer Mitreisende schüttelt verwundert den Kopf, verschwindet in ihrem Zelt und zieht – zzzzzz, zzzzzz, zzzzz – den Reißverschluss zu.
Dschungellektion 1: Never get between the Schweizer and his tent.
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