Wir sind Deutschland. Mit neuem Hobby Massen-Hysterie.
Früher war es egal, ob in China ein Sack Reis umfiel. Heutzutage kettet sich vorher garantiert ein deutscher Greenpeace-Aktivist dran.
Jede Mücke wird zum (Baby-)Elefanten – und wenn der im Münchner Zoo dann auch noch tot umfällt, schreiben ganze Schulklassen Abschiedsbriefe, legen Kränze nieder und zünden Kerzen an. Der Trauergottesdienst wird bundesweit auf Großbildleinwänden übertragen. Public Funeralling. Daher muss auch die bevorstehende Hochzeit von Kronprinzessin Victoria verschoben werden, heiratet ja eh nur einen Fitnesstrainer. Sorry Vicky, DU bist SCHWEDEN, nicht Deutschland.
Eine landesweite Aufregung jagt die andere. Kollektives Hyperventilieren. Ich habe schon gar keine Zeit mehr, mal so richtig ausführlich hysterisch zu sein – und weiß nicht, über was ich mich zuerst aufregen muss. Kaum habe ich mich für ein singendes Schulmädchen begeistert, das unbeholfen durch die Medien hampelt (was die Fischer Chöre seltsamerweise schon seit Jahren völlig UNBEHELLIGT tun), schon muss ich den Abschied des Bundespräsidenten beweinen. Und Heidi Kabel. Und Heidi Klums Fernsehsendung. Was für ein emotionaler Stress! Aus Versehen hab ich auch schon um den Papst getrauert, dabei ist der ja noch gar nicht tot, sondern nur gegen Kondome.
Und dann kommt zu allem Überfluss noch diese WM. Kaum haben WIR den Grand Prix gewonnen (ich war die hinten links im Background), müssen WIR auch schon wieder Fußball spielen (auch da bin ich links hinten, oder heißt das links außen? Egal, Hauptsache, ich stehe nicht im Abseits). Dass WIR da mal nichts durcheinander bringen. Ich sehe schon die Schlagzeile: ”Unser Held Schweini (heißt jetzt Schweinsteiger) singt Deutschland zum Sieg”. Ui, darf man solche bösen Sachen überhaupt noch sagen, Held? Und Sieg? Oder müssen WIR uns jetzt wieder kollektiv entrüsten? Und das ZDF sich für uns alle entschuldigen?
Mir ist es eigentlich inzwischen alles wurscht, ich habe ein Ganzjahresfähnchen fürs Auto, das ich in den Wind hänge. Und je nachdem, von wo er bläst, bin ich entweder entrüstet, bestürzt, euphorisch oder begeistert. Aber immer Deutschland.
Hallo Kerstin,
mit diesem Artikel bin ich völlig bei Dir. Diese Ganze „Ich-bin-Deutschland-Fahne-und-Tröte-zugleich-Hysterie“ ist selbst bei den Tankstellen -oder gerade da- omnipräsent. Mein letzter Tank-Event endete mit der Frage des Pächters: „Ich habe eine Tröte im Angebot für Sie.“ Um nicht unhöflich zu sein, antwortet ich Ihm mit einem weniger begeistertem Blick: „Sehe ich so aus, als ob ich mit mit einer Tröte in schwarz-rot-gelb rumlaufen würde?“, trat er einen Schritt zurück. Als ich dann auch noch hinterherschob, ob er mir noch einen Wimpel für mein Auto andrehen möchte, sah ich blankes Entsetzen in seinen Augen. Scheinbar gibt es nur sehr wenig Menschen, die diesem Wahnsinn trotzen.
Das ist fast nicht mehr zu toppen – weltweit!
Grüße Michael
Für Fähnchen-Flüchtige wie Dich hätten wir da die Hochzeit von Victoria oder den Rücktritts-Rücktritt von Herrn Mixa im Hysterie-Sortiment.
Interesse?